Berliner Zeitung

Der Bahnstreik der GDL ist richtig! Warum die Forderungen der Lokführer berechtigt sind

Die Lokführer-Gewerkschaft GDL sei „gierig“ und nehme die Gesellschaft in „Geiselhaft“, ist derzeit in vielen Medien zu lesen. Der Autor der Berliner Zeitung, Maximilian Both, sieht es ganz anders. Ein Kommentar.

Von Mittwoch- bis Donnerstagabend stehen die Züge der Deutschen Bahn still: Die Lokführergewerkschaft GDL fordert mehr Lohn, aber vor allem weniger Arbeitszeit für Bahn-Mitarbeiter im Schichtbetrieb. Viele Lokführer schieben schon seit Jahren einen Berg an Überstunden vor sich her. Es geht der GDL in der aktuellen Tarifrunde auch um die Arbeitsbedingungen des Bahnpersonals.

Doch gerade hier mauert die Bahn. Erstaunlicherweise übernehmen zahlreiche Medien die Argumentation des Bahn-Managements nahezu ungefiltert: Die streikenden Lokführer sind gierig und egoistisch! Sind den feinen Lokführern elf Prozent Lohnerhöhung nicht genug? Besonders bizarr: Die GDL nimmt die Bahn-Kunden in Geiselhaft!

Diese Wortwahl ist verstörend: Noch immer befinden sich etwa 240 Israelis in der Geiselhaft der islamistischen Terrororganisation Hamas. Von einer Geiselnahme der Bahn-Kunden zu sprechen, würde man im angelsächsischen Raum als „tone-deaf“ bezeichnen. Das Adjektiv meint einen Menschen ohne musikalisches Gehör, der weder die richtigen Noten heraushören noch treffen kann. Ähnlich ist es auch mit Journalisten, die streikende Gewerkschafter als „Geiselnehmer“ diffamieren. Das Recht auf Streik ist immerhin ein hart erkämpftes Grundrecht aller Arbeitnehmer in Deutschland.

Streik und Normalbetrieb: Für Bahnkunden kaum zu unterscheiden

Wer Bahnkunden als Geiseln der GDL betrachtet, übersieht zudem, dass diese sonst ganzjährig von der Schlechtleistung des Bahn-Managements in Mitleidenschaft gezogen werden. Wer vergangenen Jahr mit der Bahn fuhr, brauchte besonders starke Nerven: Nur 65 Prozent der Züge im Fernverkehr kamen pünktlich – Zugausfälle werden bei dieser Statistik nicht berücksichtigt. Kann der durchschnittliche Bahnkunde Bahnstreik und Normalbetrieb überhaupt noch voneinander unterscheiden?

Trotzdem genehmigte sich das Bahn-Management schon Anfang Januar eine Gehaltserhöhung um 14 Prozent. Laut internen Bahn-Unterlagen wurde die Vergütung zum 1. Januar dadurch „verlässlicher, krisenfester und damit attraktiver“. Zwar sei der Anteil kurzfristiger Prämien gesenkt worden, dafür erhielten Manager jetzt mehr langfristige Sonderzahlungen.

Bahn-Manager bekamen in diesem Jahr 14 Prozent mehr

Für den Bahn-Chef Richard Lutz fiel die Erhöhung trotz Katastrophenjahr indes besonders üppig aus: Für das Jahr 2022 erhielt Lutz eine Erhöhung seiner festen Vergütung von rund 7,56 Prozent – damit beträgt sein erfolgsunabhängiges Grundgehalt 968.000 Euro pro Jahr. Dazu kommen die Boni: Im vergangenen Jahr hat der Bahnkonzern Lutz etwa 1,27 Millionen Euro als Bonus zusätzlich ausgezahlt. In den zwei Jahren zuvor musste Lutz darauf pandemiebedingt noch verzichten. Die Führung der Bahn muss sich deshalb die Frage gefallen lassen: Wie kann sie ernsthaft verlangen, dass sich jetzt ausgerechnet die Lokführer in Lohnzurückhaltung üben sollen?

Das Angebot der Deutschen Bahn an die Gewerkschafter entpuppt sich zudem bei näherem Hinsehen als Mogelpackung. Elf Prozent Lohnerhöhung, ja – aber in welchem Zeitraum? Die Laufzeit beträgt laut Bahn-Personalvorstand Martin Seiler 32 Monate, also fast drei Jahre. Heißt: Knapp vier Prozent mehr pro Jahr. Das gleicht gerade einmal die aktuellen Reallohnverluste durch die Inflation aus.

Mehr Verkehr auf die Schiene: Die Bahn-Berufe müssen attraktiv sein

Künftig soll mehr Verkehr auf die Schiene verlagert werden. Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Schienengüterverkehr bis zum Jahr 2030 auf 25 Prozent zu steigern und die Verkehrsleistung im Personenverkehr zu verdoppeln – auch um die selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen. Allein in diesem Jahr wollte die Bahn laut Konzernbericht deshalb 25.000 neue Mitarbeiter vor allem im „operativen Bereich“ einstellen, um „die betriebliche Qualität“ zu erhöhen. Doch wie soll das gehen, wenn Lokführer schon heute Frust und Überstunden schieben?

Die Personalnot der DB ist selbstverschuldet, die ständigen Tarifstreits mit der Belegschaft zeugen von einem Denken in Quartalszahlen – eine Langfristperspektive hat weder das Management noch der Bund als Eigentümer. Jedes Jahr verlassen rund 15.000 Mitarbeiter der Bahn den Konzern, das Durchschnittsalter der Lokführer in Deutschland nähert sich der 50. Bis 2030 droht dem Bahnkunden neben dem Infrastruktur-Kollaps auch die demografische Bombe. Der Bahnberuf muss also dringend attraktiver werden – und wer darauf setzt, dass Züge künftig automatisch gesteuert werden könnten, braucht vor dem Hintergrund der schleppenden Digitalisierung in diesem Land sehr viel Fantasie.

Kein Wettbewerbsunternehmen im Schienenverkehr würde so kompromisslos gegenüber der Forderung nach einer Absenkung der Arbeitszeit im Schichtdienst auftreten wie „das Bundeseigentum Deutsche Bahn“, klagte Weselsky gegenüber der Berliner Zeitung im Vorfeld des Streiks. „Herr Seiler verdient 1,4 Millionen im Jahr, betreibt aber Arbeitsverweigerung“, so der Gewerkschaftsführer weiter. Den Preis für das Missmanagement der Deutschen Bahn zahlen die Kunden.

Maximilian Both

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