Sechs Verbände kritisieren gemeinsam den Auftakt des sogenannten Infrastrukturdialogs des Bundesverkehrsministeriums. Dessen Vorgehen stellt einen Bruch des Koalitionsvertrags dar und muss unverzüglich korrigiert werden.
Nicht nur handelt es sich bei der Veranstaltung um einen Monolog, sondern es wurde auch klar, dass der Input der Verbände erst für den Bundesmobilitäts- und -verkehrswegeplan 2040 genutzt werden soll. Die laufende Bedarfsplanüberprüfung wird ohne Anpassung an moderne Mobilitätsbedürfnisse durchgezogen.
Am 7.12. startete der sogenannte Infrastrukturdialog des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr. Dabei geht es um die Bedarfsplanüberprüfung – die regelmäßige Kontrolle des Bundesverkehrswegeplans. Nach Meinung der Verbände Allrail, dbb Beamtenbund und Tarifunion, Fahrgastverband PRO BAHN, der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), der GÜTERBAHNEN und mofair handelt es sich bei dem Verfahren in erster Linie um eine Präsentation des Vorgehens des Ministeriums. Eine Einwirkung der Erkenntnisse auf die Bedarfsplanüberprüfung wurde durch Ministeriumsvertreter ausgeschlossen. Passend fand der Termin auch als Live-Stream statt, der lediglich die Kommunikationsrichtung Ministerium Verbände beinhaltete.
Der Koalitionsvertrag schreibt vor: "Dazu werden wir parallel zur laufenden Bedarfsplanüberprüfung einen Dialogprozess mit Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden starten mit dem Ziel einer Verständigung über die Prioritäten bei der Umsetzung des geltenden Bundesverkehrswegeplan." – Dieser Auftrag wird nach Wahrnehmung der Verbände nicht erfüllt, diese verstehen unter „verständigen“ einen gemeinsamen Entscheidungsfindungsprozess. Im Ministerium plant man aber erst für den Bundesmobilitäts- und -verkehrswegeplan 2040, diese Positionen einfließen zu lassen. Dieser wird frühestens in der folgenden Legislaturperiode vorgestellt werden.
Vom zugehörigen zweiten Auftrag aus dem Koalitionsvertrag ist derweil nichts mehr zu vernehmen: „Bis zur Bedarfsplanüberprüfung gibt es eine gemeinsame Abstimmung über die laufenden Projekte.“ Diese liegt erst gegen Ende des nächsten Jahres vor. Große verkehrspolitische Weichenstellungen werden also bis dahin blockiert.
Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des dbb beamtenbund und tarifunion (dbb): „Die Politik ist in der Verantwortung, alle Verkehrswege und Verkehrsträger sinnvoll und umweltgerecht auszulasten. Leider wurde dies beim Bundesverkehrswegeplan 2030 nicht ausreichend berücksichtigt. Umso wichtiger ist jetzt eine echte Kehrtwende: Die bestehende Bedarfsplanung muss dringend überdacht und alte Strategien müssen an die aktuellen Entwicklungen angepasst werden. Hierbei rate ich der Politik, zwingend in einen echten Dialog mit allen Verkehrsträgern und Verbänden zu treten.“
Dr. Lukas Iffländer, stellvertretender Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands PRO BAHN e. V.: „Wir haben keine Zeit, noch eine Legislaturperiode abzuwarten. Der Klimawandel macht nicht Pause, bis die Fachabteilungen des Ministeriums einen neuen Plan aufgestellt haben. Für die großen Weichenstellungen brauchen wir jetzt einen Schwenk auf eine Verkehrswegeplanung, die dem 21. Jahrhundert angemessen ist. Dazu muss über die Methodik des gesamten Bundesverkehrswegeplans diskutiert werden. Wenn man deswegen die Bedarfsplanüberprüfung wiederholen muss, muss man das akzeptieren. Die Alternative wäre schlimmer.“
Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL): „Wieder einmal hat das Verkehrsministerium bewiesen, dass es sich gegen einen echten Kurswechsel versperrt. Der Auftakt zum Infrastrukturdialog lässt erahnen, dass die Regierung ohne Klimavorbehalt den Straßenbau auch weiterhin vorrangig behandeln wird und die Schiene einmal mehr hinten runterfällt. Die Bahn zur Chefsache zu machen, sieht anders aus! Wissing muss seinen Versprechen endlich Taten folgen lassen und den Schienenprojekten bei der Bundesverkehrswegeplanung Priorität einräumen.“
Peter Westenberger, Geschäftsführer der GÜTERBAHNEN: „Der zum Auftakt des Infrastrukturdialogs angekündigte ungebremste Neubau von Straßen ist angesichts knapper Kassen und der notwendigen Kapazitätssteigerung des Schienennetzes das Gegenteil des Notwendigen. Hier wird offenbar kalkuliert Dissens zu den Zielen der Koalition herbeigeführt. Wir pochen darauf, dass die Mehrheit der Deutschen, der Koalitionsvertrag und die Vernunft Priorität bei Investitionen in die Jahrzehnte vernachlässigte Schiene gebieten. Seit dem Beschluss des Bundesschienenwegeausbaugesetzes Ende 2016 sind nur gut 260 Kilometer neue oder stark modernisierte Schienen ans Netz gegangen – das sind nur gut 43 Kilometer pro Jahr. Der Großteil waren ICE-Schnellfahrstrecken ohne Nutzen für den besonders klimafreundlichen Schienengüterverkehr. Der Bund hat für die Schiene in diesen sechs Jahren nur etwa die Hälfte des Geldes für die Schiene bereitgestellt, das im Bundesverkehrswegeplan 2030 angekündigt war. Die Ampel muss jetzt endlich Priorität auf den Schienenausbau legen.“
Matthias Stoffregen, Geschäftsführer mofair: „Alle Beteuerungen der Regierungskoalitionen, die Schiene solle zugunsten des Klimaschutzes künftig Vorrang genießen, sind nichts wert, wenn das Verkehrsministerium so weitermacht wie immer: Bei der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans sieht es ganz danach aus. Die Methodologie des BVWP ist aber unmittelbar Politik, und das müssen sich die Verkehrspolitiker der Ampel bewusst machen. Das Haus präsentiert derweil im ‚Infrastrukturdialog’ einseitig die alten Leitplanken autozentrierter Verkehrspolitik, innerhalb derer dann später weiter diskutiert werden darf. So kommen wir nicht weiter.“
Pressemitteilung: Infrastrukturmonolog statt echter Beteiligung